«Jeder soll kreativ arbeiten können, ungeachtet der Herkunft.»
Interview mit Carsten Jörgensen. Der Däne, der schon lange in Luzern wohnt, war über 25 Jahre Designchef von Bodum und berät Firmen auf der ganzen Welt in Designfragen.
Interview:
Du siehst grundsätzlich die heutige Konsumwelt und den Luxus, in dem wir leben, kritisch ?
Ja, das sehe ich sehr kritisch. Es ist ein Exzess in «Etwas-Haben», im Grundsatz Gier. Das ist ein Exzess, der schon sehr grosse Probleme verursacht hat. Ich komme aus einer Zeit, wo man hinter dem, was man macht, stehen konnte. Heutzutage ist Design nur noch für den schnellen Verbrauch gedacht. Kaufen und wegwerfen. Daran hat sich seit den 80er-Jahren nicht viel geändert. Ich hatte mich schon in den 90er-Jahren bei Bodum dafür eingesetzt, dass wir uns weg vom Kunststoff zurück zu den natürlichen Materialien bewegen sollten.
Ein weiteres Thema, das dich beschäftigt, ist das der Ungleichheiten. Wie kam es zu deinem sozialen Engagement bei KoKoTé?
Das war ein reiner Zufall, als ich Mark Buchecker, Vorstandsmitglied des gemeinnützinge Vereins Association Equilibre, beim Segeln kennenlernte. Ich habe mich schon früh sozial engagiert. Ich gründete mit zwei anderen jungen Künstlern in Dänemark zwei Schulen in den 60er Jahren. Es gab in Dänemark in dieser Zeit, merkwürdigerweise trotz sehr sozialem Staat, viele junge Menschen mit keiner guten Beziehung zum Elternhaus oder der Gesellschaft, was unter anderem Drogenmissbrauch zur Folge hatte. Wir haben dann versucht, eine kreative Pädagogik einzuführen, wo sie mit den Händen arbeiteten, gemalt haben, zurück zu den Wurzeln des Menschseins gehen konnten. Die Schule existiert immer noch und bildet junge Künstler aus.
Bei KoKoTé hast du in enger Zusammenarbeit mit den Flüchtlingen die Marke und die Produkte entwickelt. Wie müssen wir uns diesen Prozess vorstellen?
Wir sassen von Anfang an zusammen an einem Tisch. Design kann man als Egotrip oder als kollaborativen Prozess sehen. Wir kamen mit einer ganz klaren Problemstellung auf sie zu, was zuerst für grosse Verwirrung sorgte. Denn sie hatten sich diese Überlegungen nie gemacht: wie ein Produkt sein soll, ob es funktional oder ästhetisch, oder auch ethisch ist. Mit einer solchen Grundlagendiskussion kann man einen kreativen Prozess entstehen lassen. Und ich versuchte mich ganz klar zurückzuhalten. So kann ein Wir-Gefühl und ein gemeinsamer Erfolg entstehen, im Sinne von: «Nicht der Designer hat es gemacht, sondern das Team». Das gibt auch eine ganz andere Identifikation mit der Marke und dem Unternehmen. Es ist ein neuer Trend in der Designbranche, dass Design nicht mehr elitär sein soll. Damit kann man viel erreichen. Da habe ich bei einem Experiment in China sehr viel gelernt, als ich mit jungen chinesischen Designern und Künstlern in China ein Design Studio aufgebaut habe. Dort habe ich mir zuerst die Haare ausgerissen (lacht).
Der kreative Prozess kann also auch mühselig sein. Wie muss man sich das denn genau vorstellen?
Dieser Prozess ist grausam langsam. Denn das Engagement jedes Einzelnen muss da sein. Da bin ich mit Franz Huber und Yvonne Herzog (den Gründern von KoKoTé) einig, dass Involvement in einem Arbeitsprozess sehr wichtig ist. So kann die Würde jedes Einzelnen gewahrt werden. Wenn man nur im Frontalunterricht oder in einer hierarchischen Unternehmung sitzt, dann ist das ein anderes Gefühl. In China habe ich auch nach zwei Jahren noch nicht genau verstanden, wie es funktioniert. Ich war total verzweifelt. Ich habe ihre Kultur nicht verstanden, weil sie meine Kultur nicht verstanden haben. Sie waren es nicht gewohnt, Entscheidungen zu treffen und kamen damit immer zu mir. Ich war der «Vater», der ihnen sagt, was sie machen müssen. Sich in diesem System einzumischen und es zu ändern, hat zweieinhalb Jahre gedauert, denn es ist eine Kultur, die in China 3'000 Jahre alt ist. Man trifft als junger Mensch keine eigenen Entscheidungen, man widerspricht nicht.
Bei KoKoTé war dieser Prozess aber in relativ kurzer Zeit möglich?
Ja, es dauerte weniger lang, aber das hängt auch mit dem Willen der KoKoTé-Gründer zusammen. Sie ziehen das wirklich durch, diese Ermächtigung der Mitarbeitenden. Sonst wäre diese Herangehensweise an die Produktentwicklung, wie wir sie praktizieren bei KoKoTé, gar nicht möglich. Es besteht aber trotzdem Frustrationspotential: können wir es überhaupt verkaufen? Es nützt ja nichts, wenn man einen alten, dafür bekannten Designer wie mich reinnimmt und dann geht alles gut. Es ist grundsätzlich eine riesige Herausforderung, eine solche Marke zu etablieren. Das so hinzukriegen wie es die Gründer von KoKoTé bis jetzt hingekriegt haben, ist aus meiner Sicht schon eine grosse Erfolgsgeschichte. Das habe ich noch nirgendwo sonst gesehen.
Es braucht grosses Engagement und auch viel Zeit, ein Unternehmen wie KoKoTé aufzubauen. Ein Ziel von KoKoTé ist es ja auch, ein Vorbild zu sein für andere Unternehmen, sich für Flüchtlinge zu engagieren. Was würdest du sagen braucht es dazu?
Es braucht viel Zeit. Der Wille dazu fehlt in der Schweiz. Das hat mit unserer Unsicherheit zu tun als Gesellschaft. Wir reagieren abschätzig, aufgrund dessen, dass wir alles so angepasst haben, dass es zu unserem täglichen Bedürfnis passt. «Bitte keine Probleme auf meinem Tisch», lautet das Credo. Autoren wie Richard Sennett sagen, es entsteht dort Innovation, wo Reibung entsteht zwischen Andersdenkenden. Das wäre eine grosse Chance für die Zusammenarbeit der Schweizer Bevölkerung mit den Menschen, die als Flüchtlinge in die Schweiz kommen. Elementar ist die Neugier von beiden Seiten.
Was wünschst du dir für KoKoTé für die Zukunft?
Was ich mir wünsche, ist, dass es gelingt, eine Firmenstruktur zu bilden, wo Kreativität das Wesentliche ist. Den wirtschaftlichen Erfolg zu erreichen ist ausserdem das grosse Ziel: ein soziales Engagement, das sich selber trägt. Das wäre ein sehr interessantes Pilotprojekt mit Ausstrahlungskraft für andere.
Vielen Dank für dein Engagement und dieses interessante Gespräch!